24.
Der Kuß
O komm, von meinem Arm laß dich umschließen,
Dein Lippenpaar woll' mir zum Kuß nicht wehren,
Mir gilts, in heil'gem Dienst den Gott zu ehren,
Durch den allein uns höchstes Glück kann sprießen.
Mir ist der Kuß nicht flüchtiges Genießen,
Zum Spiel ward er mir nie, zum kindisch-leeren,
Ich möcht' im Kuß mit brünstigem Begehren
Die Seele mein in deine ganz ergießen.
Was liebt, es möcht' im Tiefsten sich verbünden,
Drum tauscht es Blick um Blick und süße Worte,
Doch stillt sich nie der Seele glühndes Streben;
Im Kuß nur steigt sie aus des Busens Gründen
Und eint, entschlüpfend durch der Lippen Pforte,
Der Schwester sich mit süßem Wonneleben.
Aus: Gedichte von Albert Moeser
Erste Sammlung
Dritte sehr veränderte und vermehrte Auflage
Hamburg Verlagsanstalt und Druckerei Actien-Gesellschaft
1890