Ii.

II.
Durch's Frührot zog das Wolkenschiff
vor einem hellen Frühlingstag,
Als ich, ein träumend Schülerkind,
im morgenstillen Felde lag;
Ein Falter streifte meine Stirn,
und vor mir eine Lilie stand;
Ich aber schaute drüber hin
in's tiefe, blaue Morgenland.

Das ganze Erdreich schwoll empor
in tausendfacher Blütenlust;
Doch mächtiger schwoll Traum an Traum
und Bild an Bild aus meiner Brust:
Das war die duftige Kinderwelt,
an deren Scheide ich mich fand,
Die wie die erste Blüte sich,
am Lebensbaume, mir entwand.

Sie baute sich noch ein Mal auf,
mit letztem Glanz, im letzten Flor;
Ein lieblich wunderlicher Bau,
ein Feentempel stieg empor
Von hundert Säulchen, zart wie Glas,
Altärlein, Nischen - Bildchen drin,
Bepriestert war das Wunderhaus
nach mystisch heilgem Kindersinn.

Und mitten in dem Tempel stand,
durchsichtig, ein kristall'ner Sarg,
Der eine rosige Schläferin
auf Feuerliljen träumend barg.
Vier Riesen lagen um den Schrein
mit schlummernden Falken auf der Faust;
Sie nickten oft im Morgenwind,
der ihnen um die Schläfe braust'.

Da ging die Sonne flammend auf
und schmolz den Tempel auf den Grund,
Nur in der wehenden Asche noch
der Schrein mit seinen Hütern stund;
Worauf der wärmste Sonnenstrahl
den Deckel von Krystall erschloß,
So daß der lieblichen Schläferin
der Tag sich in die Augen goß.

Und auch die Riesen wachten auf,
die sandten ihre Falkenzucht
Aus in den goldenen Morgenschein;
sie stiegen auf mit sehnender Flucht,
Sie stiegen auf in's Ätherblau
und brachten in Einem Augenblick
Der Dame im krystallnen Sarg
eine scheue weiße Taube zurück.

Halb Kind, halb Jüngling, träumend noch,
fand ich die Lieb' im Morgentau;
Ich trug sie singend in der Brust,
heimkehrend von der funkelnden Au.
Ein neuer Mensch, trat ich in's Haus
und fand - das lockige Mädchen da,
Das schüchtern mir und ungewohnt,
wegfliehend in die Augen sah.

O süße Stunde, die das Herz
vom Herzen voller Sehnsucht reißt!
O Trennung, die schon im Entstehn
auf schrankenlos Vereinen weist!
Zieht ein mit eurem ganzen Hof,
o Liebesweh, o Seligkeit!
Zieht klingend ein, hier ist für euch
ein offnes Feld und gute Zeit! (S. 66-68)

Collection: 
1806

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VI.
Wohl ist die Lilie wunderbar,
Wenn stolz sie sich im Garten wiegt,
In ihrem Kelche, sonnenklar,
Langsam der Morgentau versiegt;
Doch mag ich gehn und wandern,
So weit nur Lilien stehn,
Ist keine vor der andern
Mit höherm Schmuck versehn.

...

V.
Viele Wochen sind entflohn,
Seit ich Dich gesehen;
Hab' auch lange Tage schon
Keine Blum' gesehen!

Keine Blumen und kein Lieb -
Ach was soll das werden?
Was soll aus dem Frühlingstrieb
In mir innen werden?

Zwar noch stets der Lenz...

IV.
Nun in dieser Frühlingszeit
Ist mein Herz ein klarer See,
Drin versank das schwere Leid,
Draus verdampft das leichtre Weh.

Spiegelnd mein Gemüte ruht,
Von der Sonne überhaucht,
Und mit Lieb' umgießt die Flut,
Was sich in dieselbe taucht.

...

III.
Sitzt man mit geschloßnen Augen
Einsam in dem dunkeln Zimmer,
Blitzt oft durch die zarten Lider
Plötzlich roter Kerzenschimmer;
Weiß ich doch, daß Sonnenstrahlen
Durch die Augendeckel dringen
Und in flimmernden Gebilden
Sich um unsre Seele...

II.
Durch's Frührot zog das Wolkenschiff
vor einem hellen Frühlingstag,
Als ich, ein träumend Schülerkind,
im morgenstillen Felde lag;
Ein Falter streifte meine Stirn,
und vor mir eine Lilie stand;
Ich aber schaute drüber hin
in's tiefe, blaue...