Liebchen am Morgen

Die Sonne fährt durchs Morgentor
Goldfunkelnd über den Bergen,
Und wie zwei Veilchen im frühen Mai,
Zwei blaue Augen klar und frei,
Die lachen auf ihren Wegen
Geöffnet ihr entgegen.

Glück auf, mein Liebchen ist erwacht
Mit purpurroten Wangen!
Ihr Fenster glitzert im Morgenstrahl,
Und alle Blumen im Garten und Tal
Erwarten sie mit Sehnen,
Die Äuglein voller Tränen.

Es ist nichts Schöneres in der Welt
Als diese grüne Erde,
Wenn man darauf ein Schätzlein hat,
Das still und innig, früh und spat,
Für einen lebt und blühet,
Ein heimlich Feurlein, glühet.

Halloh, du später Jägersmann,
Was reibst du deine Augen?
Ich hab die ganze Nacht geschwärmt
Und mich am Mondenschein gewärmt,
Und steige frisch und munter
Vom hohen Berg herunter.

Mein Mädchen durch den Garten geht
Und singt halblaute Weisen;
Mich dünkt, ich kenne der Lieder Ton.
Was gilt's, ich habe sie alle schon
Heut nacht dort oben gesungen?
Sie sind herüber geklungen. (S. 439-440)

Collection: 
1806

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VI.
Wohl ist die Lilie wunderbar,
Wenn stolz sie sich im Garten wiegt,
In ihrem Kelche, sonnenklar,
Langsam der Morgentau versiegt;
Doch mag ich gehn und wandern,
So weit nur Lilien stehn,
Ist keine vor der andern
Mit höherm Schmuck versehn.

...

V.
Viele Wochen sind entflohn,
Seit ich Dich gesehen;
Hab' auch lange Tage schon
Keine Blum' gesehen!

Keine Blumen und kein Lieb -
Ach was soll das werden?
Was soll aus dem Frühlingstrieb
In mir innen werden?

Zwar noch stets der Lenz...

IV.
Nun in dieser Frühlingszeit
Ist mein Herz ein klarer See,
Drin versank das schwere Leid,
Draus verdampft das leichtre Weh.

Spiegelnd mein Gemüte ruht,
Von der Sonne überhaucht,
Und mit Lieb' umgießt die Flut,
Was sich in dieselbe taucht.

...

III.
Sitzt man mit geschloßnen Augen
Einsam in dem dunkeln Zimmer,
Blitzt oft durch die zarten Lider
Plötzlich roter Kerzenschimmer;
Weiß ich doch, daß Sonnenstrahlen
Durch die Augendeckel dringen
Und in flimmernden Gebilden
Sich um unsre Seele...

II.
Durch's Frührot zog das Wolkenschiff
vor einem hellen Frühlingstag,
Als ich, ein träumend Schülerkind,
im morgenstillen Felde lag;
Ein Falter streifte meine Stirn,
und vor mir eine Lilie stand;
Ich aber schaute drüber hin
in's tiefe, blaue...