Elegien

I.
Nie, seit mich Schönheit beglückt und Frauenliebreiz mich fesselt,
Seit ich die Kunst verstand, Grieche genießend zu sein,
Hab' ich so schmerzlich, wie heute, die Schönheit des eigenen Körpers,
So des eigenen Leibs mangelnde Anmut vermißt.
Dir, entzückende Frau, wird Schönheit jede Bewegung,
Wird das schlichteste Kleid wallend ein Königsgewand!
Eine Göttin, so schreitest du hin zum Takte der Hüften,
Doch das Berückendste bleibt immer dein Hausgewand.
Die ich längst schon vergaß, der griechischen Göttinnen Namen,
Wahrlich, der ganze Olymp, ward mir vom neuen vertraut,
Da ich im schlotternden Rocke und deutsch bis zur knarrenden Sohle
Dir in dein duftig Gemach, Aphrodite, gefolgt.
Doch dein Auge blieb groß und strahlend die Glut deiner Blicke,
Und dein zierlich Gemach ward mir Parnaß und Olymp.
O, ich verrate uns nicht! Auch Dichter vermögen zu schweigen;
Der sich Thersites gefühlt, ging als Apollo von dir!
Schön macht Liebe und Gunst der Schönen. Hab' Dank, Aphrodite!
Nein, kein klingender Reim bringt dir würdigen Dank
Nichts von Herzen und Schmerzen und nichts von Liebe und Triebe!
Und in griechischem Maß dankt dir pathetisch mein Lied.

II.
Wahrlich, nicht blind macht Liebe! Nie sah ich mit hellerem Staunen,
Wie du, herrliche Frau, Größe und Grazie einst.
Denn kein zierliches Füßchen trägt spottend des Körperchens Bürde,
Groß, ein blühendes Weib, schreitest du mächtig und schön.
Helena sahen die Greise und staunten: ein größeres Wunder,
Kommst du, Stolze, daher, staunen die Frauen dir nach.
Ach, wie selten verschwistern sich Größe und Anmut der Glieder!
Welch ein zierliches Ding schlüpft das Lacertchen durchs Gras.
Du hast Größe und Anmut. O, wie du die Arme emporhebst,
Wie die geschäftige Hand bändigt die Fülle des Haars!
Leise knistert die Seide des Leibchens; sie bebt vor Begierde,
Und die Fülle der Brust sprengt fast die Enge der Haft.
Und kein Backfischchen rollt so zierlich das Mieder zusammen,
Eh' es die Kerze verlöscht und sich im Bette vergräbt.
Dann, dann bist du ein kleines Mädchen und kicherst und jubelst,
Und dein begehrlicher Mund küßt sich die Kindheit zurück ...

III.
"Seine Verse sind gut gebaut, doch frostig wie Marmor;
Gab ihm die Glätte Apoll, gab er ihm doch nicht die Glut!
Nicht ein Tropfen der lodernden Leidenschaft kocht ihm im Blute,
Klug, ein Meister der Form, nützt er bedächtig sein Pfund!"
Liebste, liebst du mich noch? Unmöglich! Zerknirscht und vernichtet
Bringt dir dein "kalter Poet" fröstelnd das strenge Verdikt.
Auch in der südlichen Wärme Canossas starrte ein Winter,
Ach, im Canossa der Kunst steh' ich zu Eise erstarrt!
Liebste, du lachst? Und glühend umschlingen mich eng deine Arme?
Deine bacchantische Glut macht doch den Marmor nicht heiß!
Und du jubelst und küssest: "Ich liebe dich, eisiger Dichter!
Leidenschaftsloser Poet, heischst du noch bessre Kritik!?"

IV.
Welche Fülle der Form und doch, welche Anmut der Glieder!
Schlafe, liebes Geschöpf, gönn' mir die Wonnen des Blicks:
Wie das zärtliche Hemd dem blühenden Busen sich anschmiegt,
Wie der kräftige Arm lieblich den Lockenkopf stützt.
Sorglich löschte sie erst das Licht, nun liegt sie und schlummert;
Doch mein begehrliches Aug' litt es im Dunkel nicht mehr.
Brennt ihr mein Blick auf der Haut? Sie glüht, wie der Gletscher am Abend.
Pulst ihr, noch eben geebbt, wieder bacchantisch das Blut?
Über die trotzigen Lippen, welch Schauspiel, fühlert das Zünglein,
Und die irrende Hand lüftet die Bürde des Betts.
Rubens und Tizian, dich, euch ruf' ich, euch gönn' ich den Anblick!
Still, ihr drängt euch zu sehr! Dunkel. Sie seufzt. Sie erwacht.

V.
Wäre die Landschaft groß, bewacht von ragenden Bergen,
Und ein gewaltiger Strom trüge die Bildung ins Land;
Wäre ein Marmorpalast das Haus meiner schönen Geliebten,
Und aus dem Pinienhain leuchtete hell ihr Gewand;
Wären die Männer ringsum helläugig, freier und schöner,
Und die Töchter des Lands wert ihre Frauen zu sein:
Wahrlich, der glühende Traum, der mich zum Helden erkoren,
Würde ein ewiger Sang, Sang von Liebe und Glut!
Aber die Landschaft ist klein und flach, und winklig das Städtchen,
Und ein Krämergeschlecht sorgt für den kommenden Tag!
Ängstlich in Felder geteilt, bewacht von geizigen Blicken,
Dankt mit kärglicher Frucht zögernd das trockene Land.
Flieh', Geliebte, entflieh' mit mir! Ein helles Gestade
Weiß ich, und mächtigen Schwungs weist uns ein Adler den Weg!
Weh, du zögerst? Du fürchtest die Menschen? Auch ich fürcht' die Menschen!
Und mein ewiges Lied stirbt und verblutet im Sand ...

VI.
Der unterbrochene Rhythmus
Einsames Lager, vom Monde beglänzt, was gähnst du und höhnst du?
Kühle Kissen, versucht, ob ihr das Blut mir versöhnt.
Kühle Kissen, ihr glüht. Ich will in griechischen Versen
Zähmen die buhlende Lust, bannen das lockende Bild.
Heil dir, griechisches Maß, du zwingst zu edlerem Rhythmus,
Bändigst sorgsam und klug mir das bacchantische Blut.
Dir vertrau ich mich an; die jähen Wogen des Meeres
Orpheus sang sie zur Ruh: Rhythmus ist Sitte und Kunst.
Denk' ich jetzt der Geliebten, o freundliche Wirkung des Verses,
Nicht als lockendes Weib, steht sie als Statue da;
Kalt um die herrlichen Glieder und wunschlos flutet der Mondschein,
Schmiegt sich an Schultern und Arm, wärmer an Nacken und Brust.
Eine Locke des buhlenden Haars liegt weich auf dem Busen,
Und der Busen ... Da brach jäh der Pentameter ab.
Er will nicht mehr folgen; ich will nicht mehr zählen,
Ich will meinen Leib ihrem Leibe vermählen,
Sie an mich reißen und an mich pressen
Und im heißen Taumel die Welt vergessen,
Ich will im Rausche glücklich sein! ....
Was höhnst du mich, flimmernder Mondenschein?!

aus: Hugo Salus Reigen
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1900

Collection: 
1900

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