12.
Sei nicht so schön! - Mich lockt's mit Macht, zu schauen
Des Leibes Maß, den Schmelz des Angesichts,
Mein Aug' spürt Glanz wie Glanz des ew'gen Lichts,
Und doch - der Anblick giebt mir Angst und Grauen.
Zu hoch stehst du ob uns, du Zier der Frauen,
Mir ist's, als hört ich Worte des Gerichts:
"Ihr andern all' seid glanzlos, schal, ein Nichts!"
Und jäh entschwindet Muth mir und Vertrauen.
Dahin ist all der Seele dreistes Wagen,
Dahin der Trotz, sonst keck zum Himmel strebend,
Dahin der Stolz auf hehre Geistesflüge:
Mein Blick sucht nur mit Bängniß deine Züge,
Dem Knaben gleich steh' ich vor dir erbebend,
Und wage kaum "ich liebe dich" zu sagen.
Aus: Gedichte von Albert Moeser
Erste Sammlung
Dritte sehr veränderte und vermehrte Auflage
Hamburg Verlagsanstalt und Druckerei Actien-Gesellschaft
1890