10.

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Ich sah dich stehn an steilem Bergeshange,
Der Wald verstreute weiße Blüthenflocken,
Vielstimmig scholl der Vögel trautes Locken,
Die Sonne neigte sich zum Niedergange.

Der Windhauch küßte neckisch deine Wange
Und spielte sanft in deinen dunklen Locken,
Du aber lauschtest fernen Abendglocken
Und froher Wandrer lieblichem Gesange.

Wie schön warst du! Die Sonne sah verdrossen
Sich schier verdunkelt von so holden Mienen
Und barg sich hastig hinter Bergesrücken:

Und jener Schein, den Scham um sie ergossen,
Er mußte noch dich zu verklären dienen
Und dir mit Purpurgluth die Wange schmücken.

Aus: Gedichte von Albert Moeser
Erste Sammlung
Dritte sehr veränderte und vermehrte Auflage
Hamburg Verlagsanstalt und Druckerei Actien-Gesellschaft
1890

Collection: 
1890

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